20.12.2023
Nachwuchsleistungszentrum

„Vertrauen bekommt man nicht geschenkt“

Seit elf Jahren ist Anton Schumacher als Pädagogischer Leiter am NLZ beschäftigt. Im Interview spricht er über den Umgang mit Spielereltern, die Herausforderungen seiner Arbeit und die Bedeutung von Vertrauen.

Seit 2012 bist du schon der pädagogische Kopf des NLZ. Um welche Aufgaben kümmerst du dich zusammen mit deinem Team?
Gemeinsam verantworten wir die Themen Unterbringung, Prävention, Kindeswohl, Schule, berufliche Orientierung und Elternarbeit. Mittlerweile kümmern wir uns mit 15 Mitarbeiter:innen in Voll- und Teilzeit um diese Bereiche.

Was ist die größte Herausforderung bei eurer Arbeit?
In meinen Augen ist es das Erwachsenwerden, genauer gesagt die speziellen Lebensphasen der Jugendlichen sowie die Koordination zwischen Leistungsfußball und beruflicher Orientierung. Aber die Jungs stecken voller Energie und haben Ziele, sie sind eine dankbares Klientel.

Um junge Menschen unterstützen zu können, muss man, wie du früher schon erklärt hast, „nah am Puls“ der Spieler bleiben. Wie gelingt das?
Wir versuchen, uns in die Elternrolle hineinzuversetzen, um zu überlegen, was einem für das eigene Kind wichtig wäre. Außerdem erwarte ich von meinen Mitarbeitenden, dass sie das Leben des jungen Menschen, den sie betreuen, überblicken. Hat er am Wochenende gespielt? Wenn ja, ist er damit zufrieden? Was steht in der kommenden Woche außersportlich für ihn an? Wichtig ist auch zu erkennen, wie gerne jemand im Austausch ist und wann man ihm lieber seine Ruhe lässt. Das Ganze sollte dann mit der erforderlichen Nähe und gleichzeitig der gebotenen professionellen Distanz geschehen.

In einem anderen Interview sagtest du mal, dass man Jugendliche vor allem im Alter von 15 bis 17 Jahren besonders aufmerksam begleiten sollte. Warum genau in dieser Phase?
Häufig liegt hier der Höhepunkt der Pubertät. Bei unseren Jungs kommt noch dazu, dass in diesen Zeitraum sowohl wichtige Schulabschlüsse als auch die entscheidende Phase der fußballerischen Ausbildung fallen.

Bei der Unterstützung von schulischer und beruflicher Orientierung arbeitet ihr mit verschiedenen Kooperationspartnern zusammen. Was bieten diese den Sportlern?
Mit der Carl-von-Weinberg-Schule und der Julius-Leber-Schule in Frankfurt, der Hermann-Hesse-Schule in Obersthausen und der Elly-Heuss-Schule in Wiesbaden haben wir ein Verbundsystem und können damit alle Schulabschlüsse abbilden. Aufgrund ihrer Sportaffinität bringen diese Schulen bei speziellen Herausforderungen im Fußball ein großes Verständnis auf. Der Weg führt aber natürlich nicht nur über die Kooperationsschulen. Unser Ziel ist es, jedem den individuell bestmöglichen Abschluss zu ermöglichen. In Sachen Berufsqualifizierung arbeiten wir mit einer Initiative gegen Jugendarbeitslosigkeit namens „Joblinge“ zusammen, die die Jungs in Praktika oder Ausbildungsbetriebe vermittelt. Wir selbst haben zudem ein Nachhilfeangebot, entweder vor Ort oder über ein Online-Portal.

Wir versuchen, uns in die Elternrolle hineinzuversetzen, um zu überlegen, was einem für das eigene Kind wichtig wäre.

Anton Schumacher

Viele Talente verbringen mehrere Jahre in unserem NLZ. Wie verändert sich der Umgang mit den Spielern über die Zeit?
Je jünger sie sind, desto eher nicken sie Vorgaben einfach ab. Mit zunehmendem Alter werden sie selbstständiger und stellen mehr Nachfragen. Mit sich selbst werden sie kritischer, aber auch selbstbewusster und klarer in dem, was sie einfordern. Die Lebensphase, die die Spieler bei uns durchleben, hat entscheidenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung.

Trotz wachsender Selbstständigkeit der Spieler haben auch die Eltern der in der Regel minderjährigen Talente viel mitzureden. Wie erfolgt der Austausch mit den Eltern?
Im Sportinternat haben wir das Modell der Bezugsbetreuung. Das heißt, dass zwar jeder pädagogisch Handelnde Ansprechpartner für alle ist, es darüber hinaus aber nochmal eine klare Zuordnung für ein bis drei bestimmte Spieler gibt. Vierteljährlich geht mir ein Feedback samt Auffälligkeiten zu, das ich an die Eltern weiterleite. Je nach Rücksprachebedarf wird dann nochmal telefoniert oder sich am Wochenende bei den Spielen ausgetauscht. Für alle anderen Eltern unserer Spieler sind wir momentan dabei, eine Elternseite auf der Website zu etablieren. Dort soll es Aktuelles, aber auch allgemeine Informationen zu verschiedenen Themen wie Ernährung, schulische Begleitung oder Sportpsychologie geben. Die einzelnen Fachbereiche können sich hier vorstellen und Einblicke in ihre Arbeit geben.

Gibt es auch Eltern, die dem Ganzen kritisch gegenüberstehen?
In der Regel haben wir eine total engagierte Elternschaft, die unsere Arbeit unterstützt. Eine gesunde Skepsis gehört aber natürlich auch dazu. Innerhalb unseres Teams setzen wir Vertrauen nicht voraus, sondern haben den Anspruch, dass es sich durch gute Erfahrungen mit unserer Arbeit organisch entwickelt. Denn Vertrauen bekommt man nicht geschenkt. Wie erarbeitet man sich dieses Vertrauen? Wir versuchen es über persönliche Gespräche und größtmögliche Transparenz. Hierzu zählt, klar zu kommunizieren, wie wir Dinge warum angehen, darüber hinaus aber ebenso offen anzusprechen, was wir aus welchen Gründen eben nicht tun. Wir wollen für wohlwollende Unterstützung und Erziehung stehen, nicht für Dienstleistung. Tatsächlich erlebe ich durch exakt diese Haltung sehr oft Vertrauenszuwachs bei den Eltern.

Unser Anspruch ist, als Vorbilder für ein respektvolles Miteinander, Vielfalt und Weltoffenheit voranzugehen.

Anton Schumacher

Auf welche Weise werden die Werte der Eintracht in der Interaktion mit Eltern und Spielern vermittelt?
Zum einen führen wir Workshops zu Themen wie Fair Play oder Anti-Diskriminierung durch. Im Vordergrund steht aber immer der alltägliche Umgang miteinander. Unser Anspruch ist, als Vorbilder für ein respektvolles Miteinander, Vielfalt und Weltoffenheit voranzugehen – sowohl innerhalb unseres Teams als auch im Austausch mit den Jungs.

Ist es bei eurer Arbeit schwer, eine Grenze zu finden zwischen den Dingen, bei denen ihr eingreifen solltet, und denen, die nicht in eurer Verantwortung liegen, wenn ihr bemerkt, dass jemand ein Problem bei etwas hat?
Wir tun gut daran, unseren Einfluss auf die Spieler maximal ernst zu nehmen und diesen nach bestem Wissen und Gewissen auszugestalten. Gleichzeitig sollten wir den Einfluss aber auch nicht überhöhen und uns schon gar nicht zu wichtig nehmen. Wir mögen als NLZ ein wichtiger Akteur im Leben der Jungs sein, bei weitem aber nicht der einzige. Als pädagogischer Fachbereich versuchen wir insbesondere auch für unsere Mitarbeiter:innen und jungen Leute in den Trainerteams eine Anlaufstelle zu bilden, um gemeinsam zielführende Strategien festzulegen, nach denen wir je nach Einzelfall verfahren.

Was ist mit Blick auf die Arbeit deines Teams in Zukunft noch geplant?
Ich bin schon ein paar Jahre dabei und finde es schön zu sehen, was sich bereits alles entwickelt hat. Die Herausforderungen werden aber nicht weniger, von den Jungs wird an allen Ecken und Enden mehr gefordert. Sport und Schule zu koordinieren wird immer aufwändiger, da müssen wir uns inhaltlich und infrastrukturell weiterentwickeln. Auf längere Sicht sind beispielsweise eine Ausweitung des Internats und das Angebot eines Tagesinternats, in das die Jungs nach der Schule gehen können, ein großes Ziel.