15.11.2020
Nachwuchsleistungszentrum

„Siegermentalität ist Teil der Ausbildung“

Im Interview spricht Andreas Möller, Leiter des Leistungszentrums, über die aktuelle Situation, Veränderungen und Ziele im Nachwuchs.

Seit Oktober 2019 ist Andy Möller nun Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) von Eintracht Frankfurt. Seither hat sich am Riederwald einiges getan. Doch kaum hatte er sich den ersten Überblick verschafft, die ersten Ideen umgesetzt, stellte Covid-19 ihn und das gesamte Team vor ganz neue Herausforderungen. Wir haben uns mit ihm über die Auswirkungen der Pandemie, aber auch über Veränderungen und Ziele unterhalten.

Du bist genau seit rund einem Jahr Leiter des NLZ. Was hat sich seither geändert?

Die größten Veränderungen liegen sicherlich in der Besetzung der Trainerteams von der U15 bis hin zur U19. Wir haben uns im Vorfeld viele Gedanken gemacht, wie wir die Posten besetzen wollen. So entstand die Idee, einerseits ehemalige Profis einzubinden wie Thomas Broich und Jerome Polenz (U15), Jürgen Kramny und Andreas Ibertsberger (U19), Alex Meier (U16) oder Ervin Skela (U17), die ihren Weg im Trainergeschäft gehen wollen oder zum Teil schon gegangen sind und zudem ihre Erfahrungen als Spieler einbringen können. Andererseits haben wir junge Trainer danebengestellt, die schon Erfahrungen im Trainergeschäft aufweisen können. Neben Charakter, Persönlichkeit und Fachkompetenz waren dabei auch andere Eigenschaften ausschlaggebend. Wir legten großen Wert auf persönliche Hingabe und Bereitschaft, mit Jugendlichen arbeiten zu wollen und dabei Verständnis sowie Feinfühligkeit für deren Befindlichkeiten und Entwicklungsphasen aufzubringen. Für Alex und Ervin sprach sicherlich auch die Tradition, sie haben lange für die Eintracht gespielt und kennen den Verein.

Der Anpfiff ist da!

Blickt hinter die Kulissen des Leistungszentrums: Alle Mannschaften der Saison 2020/21, alle Hintergrundgeschichten.

Ebenso stehen immer wieder infrastrukturelle Änderungen an. Gab es in dieser Hinsicht Neuigkeiten?

Zum Saisonstart haben wir den neuen Aufenthaltsraum (Eltern&Players Lounge) zwischen Hockeyplatz und Kunstrasen eingeweiht. Wir freuen uns, dass diese Idee so schnell umgesetzt wurde. Gerade in den Wintermonaten ein guter Platz, um Wartezeiten zu überbrücken. Der Aufenthaltsraum kann zudem für andere Veranstaltungen genutzt werden – wie z.B. als Organisationsbüro für Turniere oder Adlertage, wenn diese hoffentlich bald wieder stattfinden können.

Es hängen inzwischen auch Bildschirme zur Videoanalyse in den Trainerbüros. Welche Rolle spielt die Sporttechnologie im Leistungszentrum?

Wir haben im Bereich der Analyse richtige Fortschritte gemacht, die Fußball AG hat uns dabei sehr unterstützt. Die Plattform BePro11 ist für unsere tägliche Arbeit ein großer Mehrwert. Wir sind in der Lage, einfach und schnell auch über die App mobil auf Videos und Daten unserer Teams zugreifen zu können – von wo auch immer. Durch die automatisierten Videosequenzen können wir außerdem schneller und individueller unsere Talente ausbilden.

Andreas Möller im Gespräch mit U15-Trainer Jerome Polenz.

Ein gewichtiges Thema ist die Entwicklung einer einheitlichen Spielidee der Teams von den Profis bis hin zu den Jüngsten. Wo liegen die Schwerpunkte der Spielkonzeption, der Philosophie?

Wir haben uns die Fragen gestellt: Wie wollen wir die Spieler basierend auf den Werten der Eintracht ausbilden? Welche Ausbildungsmerkmale sind uns wichtig? Fest steht: Wir wollen immer versuchen, attraktiven Fußball spielen, das ist klar. Agieren statt reagieren, schnelles Umschaltspiel an den Tag legen und schnell wieder in Ballbesitz kommen. Das gelingt nicht immer, aber es ist unsere Spielphilosophie. Wenn unsere Spieler unsere einheitlichen Spielsysteme verinnerlicht haben, müssen sie beim Wechsel in die nächste Jahrgangsstufe nicht neu angelernt werden. Fußball wird immer schneller und dadurch auch technisch anspruchsvoller. Wir wollen auf höchstem Niveau ausbilden, das ist unser Anspruch.

Eine weitere infrastrukturelle Neuigkeit im NLZ war, dass die U19 im Sommer teilweise im Stadion trainierte ….

Uns wurde von der Fußball AG ermöglicht, in vorgegebenen Zeitfenstern auf den Trainingsplätzen der Profis im Deutsche Bank Park zu trainieren. Nur ein Steinwurf von den Profis entfernt. Darüber waren wir sehr glücklich und hat uns die Trainingsplanung am Riederwald vereinfacht. Natürlich motiviert das die Jungs, wenn Fredi Bobic mal in die Kabine kommt oder auch Adi Hütter und sein Trainerteam die Spieler beim Training unter die Lupe nehmen.

Alex Meier und Ervin Skela kennen den Fußball noch aus einer anderen Zeit her. Wie siehst du die Wandlung des Fußballs?

Unsere tägliche Trainingsarbeit besteht selbstverständlich aus den neuesten Entwicklungen und Erkenntnissen, aber ein bisschen alte Schule darf es auch sein. Grundsätzlich lebt der Fußball von den Basics: Zweikampfverhalten, Laufstärke, Ball An- und Mitnahme, Passqualität unter Zeitdruck und taktisches Verhalten sind heute noch genauso gefragt wie früher. Ein Fußballer muss aber heute auch in der Lage sein, verschiedene Spielsysteme zu bespielen.

Eintracht-Profi Sebastian Rode war ja auch neulich wieder zu Besuch am Riederwald oder schaut sich ein Spiel des Nachwuchses an …

Das war natürlich ein Highlight für unsere U16. Wir freuen uns sehr über diese Affinität und die starke Aufmerksamkeit unserer Profis für die Jugend. Die Verzahnung zwischen dem Leistungszentrum und der Fußball AG schreitet weiter voran, aber wir wollen diese auch in Zukunft noch verbessern und weiter ausbauen.

Welche Rolle in der Weiterentwicklung des NLZ spielen die Rhein-Main-Region und die Kooperationspartner – auch in Bezug auf das Scouting?

Wir wollen bei der Ausschau nach Talenten höchste Priorität auf das Rhein-Main-Gebiet setzen. Unser Ziel ist es, die besten Talente bei uns zu haben. Wir sind grundsätzlich gegen kilometerlange Anfahrtswege im Kindesalter. Nur in Ausnahmen und wenn der Stressfaktor niedrig bleibt, machen wir das. Kurze Anfahrtswege, insbesondere bei den Kleinsten, sind uns wichtig. Unsere Kooperationspartner spielen eine große Rolle in unseren Scouting-Aktivitäten und sollen uns bei der Talent-Sichtung unterstützen. Das funktioniert auch sehr gut.

Lass uns noch kurz über die aktuelle Situation sprechen, die ja noch immer unter dem Zeichen der Corona-Pandemie steht. Wie ist das NLZ mit der Herausforderung umgegangen bzw. geht es aktuell damit um? Kann man unter solchen Vorzeichen überhaupt planen?

Die Corona-Krise hat uns alle überrascht. Die vergangene Saison wurde Mitte März 2020 abgebrochen. Aus meiner Sicht kann ich sagen, dass wir alle im NLZ sehr verantwortungsvoll mit dieser unerwarteten Situation umgegangen sind. Das Internat wurde geschlossen, die Jungs wurden zügig in die Heimat zu ihren Familien geschickt. Um die Spieler im Rhythmus zu halten, gab es individuelle Online-Trainingsangebote fürs „Hometraining“. Das kann zwar keinen Wettkampf ersetzen, und wir müssen heute noch berücksichtigen, dass die Jungs wochenlang keine Spielpraxis bekamen. Doch ich bin sehr froh, dass das gesamte Team im NLZ an einem Strang gezogen und gemeinsam an Lösungen gearbeitet hat. Es wurde ein umfangreiches Hygienekonzept ausgearbeitet, immer im Konsens der jeweiligen Verbände und des Gesundheitsamtes. Ich bin mir sicher, dass die Pandemie uns noch einige Zeit begleiten wird. Wir müssen weiterhin sehr sehr vorsichtig sein, denn die Gesundheit steht für uns alle im Vordergrund. Inzwischen hatte die Saison unter neuen Voraussetzungen begonnen. Es gibt weniger Spiele und mehr Absteiger in den höchsten Ligen. Wir haben unter diesen schwierigen Bedingungen diese Herausforderungen angenommen und uns gefreut, dass der Ball unter diesen Umständen wieder gerollt ist. Corona-bedingt ist zwar aktuell der Spielbetrieb ausgesetzt, aber wir sind sehr dankbar, dass wir zumindest mit unseren Leistungsteams trainieren dürfen. Wir wissen, dass wir ein Privileg genießen, und werden uns weiterhin verantwortungsvoll und mit höchster Konsequenz an die Hygienemaßnahmen halten.

Aus einer erfolgreichen Mannschaft entwickeln sich auch gute Spieler. Und wichtig ist, Siegermentalität zu entwickeln. Sie ist immer ein Teil der Ausbildung.

Andreas Möller

Welche Ziele lassen sich unter solchen Voraussetzungen ableiten?

Unsere Ausbildungsphilosophie steht, wir möchten aber auch erfolgreiche Mannschaften. Fußballer aller Altersklassen schauen auf Tabellen und Ergebnisse. Das ist uns auch bewusst und das sollen sie auch tun, um den Sinn und den Anreiz des Fußballs nicht zu verlieren. In jedem Training werden die Jungs auf den Wettkampf vorbereitet, um Erlerntes umzusetzen. Der Grundgedanke lautet: Aus einer erfolgreichen Mannschaft entwickeln sich auch gute Spieler. Und wichtig ist, Siegermentalität zu entwickeln. Sie ist immer ein Teil der Ausbildung.

Gibt es noch weitere Zielsetzungen?

Jeder von uns hat den Wunsch und die Vorstellung, dass mehr Eigengewächse bei den Profis ankommen. Dafür arbeiten wir jeden Tag. Ideen haben wir viele, die Umsetzung ist jedoch aus vielen Gründen nicht immer einfach. Unser Leistungszentrum ist gut aufgestellt, die Kapazitäten sind aber aktuell voll ausgeschöpft. Dem Fußball wird vieles untergeordnet, dennoch darf die schulische und berufliche Ausbildung nicht auf der Strecke bleiben. Um aber weiter konkurrenzfähig zu sein, müssen wir versuchen, gegenüber anderen NLZ Schritt zu halten. Wir haben das Individualtraining nochmals modifiziert, die Jungs nehmen das super an und freuen sich auf jede zusätzliche Trainingseinheit. Mit Alex Meier und Ervin Skela haben wir dafür zwei Ex-Profis bei uns, die Motivation unserer Nachwuchskicker ist riesengroß.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Wie verstehst du selbst deine Rolle als Leiter des NLZ, worauf liegen die Schwerpunkte?

Unser Team im NLZ hat unterschiedliche Bereiche. Parallel zur fußballerischen Ausbildung und der Koordination zwischen Schule und Fußball auch Persönlichkeitsförderung. Wir wollen diese Säulen verbinden und die jungen Fußballer mit unseren Spezialisten begleiten – mit den Pädagogen, der Sportpsychologin, den Trainern, der Spielkonzeption und vielen weiteren. Die Spieler müssen jedoch auch selbst viel mitbringen. Wille, Ehrgeiz, Fleiß, Bereitschaft und die nötige Ausdauer sind die Voraussetzungen, dass es mal nach ganz oben funktionieren kann. Zwar fordert die Schule heute noch mehr als zu meiner Zeit, dennoch muss die Leidenschaft für den Fußball immer über allem stehen. Aus jedem Training müssen die Jungs etwas mitnehmen, sie dürfen keine einzige Einheit herschenken – das kann am Ende entscheidend sein, ob jemand den Sprung in den Profifußball schafft. Die Trainer müssen nah an den Spielern dran sein, um frühzeitig zu erkennen, was hinderlich auf diesem Weg sein kann. Letztlich müssen wir den Jungs auch etwas bieten, sie müssen sich am Riederwald wohl fühlen. Dafür brauche ich meine Mitarbeiter, die selbst in diese Richtung denken.

Als ehemaliger Profi lockt doch aber sicherlich immer noch der Rasen, oder?

(lacht) Als Ex-Fußballer bin ich natürlich nicht der geborene Bürohengst. Ich bin gerne noch nah dabei, spreche mit den Trainern, schaue so oft wie möglich beim Training zu. Nach einem harten Bürotag nochmals beim Training zuzuschauen und den Jungs auf dem Weg zur Kabine zu begegnen, ist einfach überragend und mit nichts zu vergleichen.