30.12.2020
Nachwuchsleistungszentrum

Prävention, Diagnose, Therapie

Der medizinische Bereich des Leistungszentrums unter der Leitung von Sven Bockermann, Thomas Pitzke und Dr. Sebastian Schneider.

Langsam legt sich die Dunkelheit über den Frankfurter Stadtwald, in dem unsere U19 in diesem Sommer zuweilen trainiert. Spieler wie Trainerteam schleichen in die Kabine, Stollen klackern über die Pflastersteine, nebenan im Eintracht Museum wehen zwei Eintracht-Fahnen in die aufkommende Nacht. Jetzt haben Sven Bockermann, Thommy Pitzke und Sebastian Schneider noch allerhand zu tun. Kleinere Blessuren müssen versorgt und größere begutachtet und das weitere Vorgehen besprochen werden. Anschließend treffen wir uns im Museum, um zu später Stunde ein Licht auf die medizinische Abteilung des NLZ zu werfen.

Eintracht-DNA gepaart mit Erfahrung

Schon seit 2010 ist Thomas Pitzke, genannt Thommy, am Riederwald tätig und übernahm mit Beginn der Saison 2018/19 hauptverantwortlich die Leitung Athletik, Prävention und Rehabilitation. Im Sommer 2019 stieß Dr. Sebastian Schneider dazu, er ist der verantwortliche Arzt im Leistungszentrum und mit Beginn des Jahres 2020 komplettierte Sven Bockermann den medizinischen Bereich als Leiter der medizinischen Abteilung und Physiotherapeut. Und kaum hatte Sven seine Arbeit aufgenommen, setzte Corona wenige Wochen später alles außer Kraft. Doch der Reihe nach.

Thommy, schon von klein auf bekennender Fan von Eintracht Frankfurt, studierte Sportwissenschaften und spielte selbst aktiv in Bischofsheim und bei Germania Enkheim. Ein studienbegleitendes Praktikum in einer der Eintracht verbundenen physiotherapeutischen Praxis bildete vor zehn Jahren die Grundlage für seine jetzige Tätigkeit. War er zunächst nur stundenweise am Riederwald beschäftigt, so obliegt ihm und seinem Team heute die Organisation und Umsetzung der Trainingssteuerung im athletischen Bereich, nicht zuletzt, um verletzte Spieler wieder an die Mannschaft heranzuführen. Thommys praktisches Augenmerk liegt derzeit auf der U19, seine Kollegen kümmern sich derweil um die jüngeren Jahrgänge.

Sven, gebürtiger Bielefelder und Leiter der medizinischen Abteilung und Physiotherapie, war vor seiner Station bei Eintracht Frankfurt schon bei Arminia Bielefeld und dem MSV Duisburg sowie Korona Kielce in Polen in gleicher Funktion tätig. Zusätzlich ist er der Hygienebeauftragte des Leistungszentrums sowie Dopingbeauftragter. Eine Menge Arbeit, die es zu koordinieren gilt, zumal das Covid-19-Virus uns alle vor große Herausforderungen stellt und das Augenmerk von Sven derzeit massiv auf den organisatorischen Bereich gelenkt hat. Vor allem im Hochsommer, als sich der Erkenntnisstand permanent änderte und die Rahmenbedingungen des Trainings auch im Leistungszentrum den Hygienevorschriften entsprechend angepasst und organisiert werden mussten. Sven, der eigentlich lieber im Hintergrund agiert, arbeitete unter großer Verantwortung Hygienekonzepte oder Wegeführungen aus und legte dabei das mobile Telefon kaum aus der Hand. Seine fußballerische Karriere musste er in der A-Jugend wegen einer Knieverletzung frühzeitig beenden – die Physiotherapie brachte ihn zurück in den Sport.

Sebastian ist Eintrachtler durch und durch. Zwar liegt seine moderne Praxis in Dreieich-Götzenhain, aber selbstverständlich ist der gebürtige Frankfurter großer Anhänger der SGE und schätzt sich deshalb umso glücklicher, für seinen Lieblingsklub als leitender Arzt des NLZ arbeiten zu dürfen. Neben der wöchentlichen Sprechstunde am Riederwald steht für die Spieler auch unter der Woche jederzeit die Tür seiner Götzenhainer Praxis offen. Da sein Sohn bei Hessen Dreieich in der U12 spielt, hat der A-Schein-Inhaber zudem den Trainerjob dieses Teams übernommen. Außerdem kickt der Facharzt für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin selbst noch in der dritten Mannschaft der SG Rosenhöhe.  In jüngeren Jahren schnürte er die Fußballschuhe lange Jahre für die Würzburger Kickers in der Bayernliga – damals die vierthöchste Spielklasse Deutschlands. Erfahrung und Netzwerk in sportlichen wie in medizinischen Belangen sind folglich reichlich vorhanden. Und die Betreuung Jugendlicher haben alle drei von der Pike auf gelernt – sie sind allesamt stolze Familienväter.

Es geht nur im Team

Und genau so, wie sie heute zu dritt am Tisch sitzen, verstehen sie ihre Arbeit in erster Linie als Teamarbeit. Zumal es tagtäglich viel abzustimmen gibt. Untereinander, aber auch mit der sportlichen Leitung, der Tagesorganisation, den Trainern bis hin zur Profiabteilung. Die Saisonvorbereitung stand natürlich unter dem Zeichen von Corona, dennoch nutzten sie die Zeit intensiv und kommunizierten selbst im Sommer mehrmals am Tag. Über verletzte Spieler, aber auch über die weitere Vorgehensweise. „Wir arbeiteten extrem viel im Hintergrund, auch wenn zunächst noch kein Training stattfinden konnte. Und es mussten viele Fragen geklärt werden: Wo bringen wir die Spieler heimatnah unter? Unter welchen Voraussetzungen können wir wieder beginnen“, benennt Sebastian die Themen, die sie in der trainingsfreien Zeit bewegten. „Wir standen mehrmals täglich im Austausch und konnten die Lage richtig gut meistern, da wir uns nicht nur fachlich, sondern überdies menschlich gut verstehen. Das vereinfachte die Sache wesentlich“, ergänzt Sven. „Einmal pro Woche hatten wir zudem ein Videomeeting. Ich denke, wir waren professioneller als so manche Profiabteilung in anderen Vereinen“, fügt Thommy lachend hinzu. Dies lag auch an der hervorragenden Kommunikation, am Teamwork zwischen Profis und NLZ bezüglich der medizinischen und athletischen Abteilungen – bis heute ein großes Faustpfand.

Mittlerweile hat sich die Situation etwas normalisiert, das Hygienekonzept greift und der Startschuss für die Ligen ist bei allen Teams gefallen. Sven berichtete aus dem Alltag: „Morgens um 6:45 Uhr kommt die erste Meldung eines Spielers: Ich habe Bauchschmerzen.  Kurz danach beklagt der nächste Rückenprobleme“, geht es Schlag auf Schlag. Nach einem ersten Check-up folgt die gemeinsame Besprechung über den jeweiligen Umgang. Sebastian bekräftigt: „Die erste Anlaufstelle ist stets unser Physio. Wir haben es ja nicht nur mit typischen Sportverletzungen zu tun. Egal, ob Weisheitszähne kommen oder eine Blasenentzündung im Anmarsch ist, ob Fragen zu Corona anstehen oder zu Impfungen, wir sind für alles zuständig. Die Jungs bekommen bei mir immer einen Termin. Und wir haben im Zweifel ein großes Netzwerk von Spezialisten aller Art.“ Wesentliches Augenmerk legen alle drei auf Prävention, auf die Verletzungsvorbeugung. Dabei spielt die Belastungssteuerung aber auch das Belastungsmonitoring eine bedeutende Rolle. „Trackingtools geben uns objektive Hinweise, wie wir trainieren müssen, um die Jungs nicht zu überlasten. Eine der häufigsten Verletzungsursachen ist Ermüdung, auch zentrale Müdigkeit, sprich Stress. Dem gilt es vorzubeugen“, schildert Thommy die Herangehensweise.  Sebastian ergänzt: „Letztlich ist unsere Idealvorstellung die, verletzungsfrei durch die Saison zu kommen. Es heißt ja so schön, dass diejenige Mannschaft erfolgreich ist, die über die Saison gesehen auf den besten Kader zurückgreifen kann, also mit wenig Verletzungen zu kämpfen hat.“ Dazu gehört für Thommy ebenfalls viel Schreibtischarbeit, obgleich er durch die Unterstützung seines Teams jetzt wieder näher an den Spielern dran ist. Dennoch wollen individuelle Trainingspläne ausgearbeitet und Konzepte geschrieben werden. Auch die Trainer müssen den neuesten Stand der Entwicklung kennen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Analyse der Leistungsdiagnostik, um die jeweilige Belastung adäquat zu justieren, bevor die Jungs wieder beschwerdefrei ins Mannschaftstraining zurückkehren können. Auch für Sven ist der Sprint auf den Rasen mit dem Köfferchen in der Hand nur ein Aspekt unter vielen. Dazu zählt weiterhin die Zusammenarbeit und Kommunikation mit der Profiabteilung

Während bei manchen Profimannschaften der medizinische Staff bald größer als der Spielerkader scheint, so stellt sich im Nachwuchsbereich die Manpower oder auch Womanpower überschaubarer dar. Von daher ist es unabdingbar, dass die jeweiligen Abteilungen mit großem Einsatz und Herzblut bei der Sache sind, zumal die Spieler ja nicht nur unter der Woche sondern gleichfalls an den Spieltagen versorgt werden müssen. „Wir sind natürlich auch stolz, wenn es uns gelingt, durch unsere Tätigkeit einen Teil dazu beitragen zu können, Spieler in den Profibereich weiter zu geben. Von da her ziehen wir unsere Motivation neben der Freude an der Arbeit auch aus diesem Gedanken“, zieht Sebastian eine kleine Bilanz. Und Sven weist extra noch einmal darauf hin, dass es ohne das Team im Hintergrund, auch die Honorarkräfte, die nicht im Vordergrund stehen, niemals funktionieren könnte. „Wir sind ihnen zu großem Dank verpflichtet.“

Diesen geben wir selbstverständlich weiter. Und geradewegs zurück. An Sven Bockermann, Thommy Pitzke und Dr. Sebastian Schneider. Kaum haben sie sich in die Nacht verabschiedet, kommt Sven noch einmal zurück. Er hat sein Nahtwerkzeug im Museum vergessen. Um ein Haar wäre es im Museumsarchiv gelandet.