18.04.2021
Nachwuchsleistungszentrum

„Nicht aus Faulheit Türen verschließen“

Fünf Jahre lang trug Marius Kullmann den Adler auf der Brust, dann platzte zwar der Traum vom Fußballprofi, aber andere Türen öffneten sich.

Wenn man mit Marius spricht, spürt man deutlich, dass er zufrieden ist mit seinem Leben und wie es bisher gelaufen ist. Er würde alles immer wieder so machen. „Ich bin unendlich dankbar für die Zeit, die ich bei der Eintracht hatte. Natürlich war man am Ende zwar etwas enttäuscht, weil es nicht ganz gereicht hat, aber es liegt ja auch ein Stück weit an einem selbst. Ohne die Eintracht wäre ich aber nicht in Amerika gelandet. Diese Türen hätten sich nie geöffnet“, erzählt der heute 24-Jährige. Natürlich habe er während der Zeit im Nachwuchsleistungszentrum Entbehrungen in Kauf nehmen müssen, es ging viel Zeit in die Fahrerei von seinem Heimatort Nähe Fulda nach Frankfurt und wieder zurück drauf, es gab Drucksituationen – sei es durch Abstiegskampf oder den man sich auch selbst mache, aber diese Zeit habe ihn geprägt. „Ich bin stolz darauf, dass ich mich solange im Leistungszentrum durchsetzen und bleiben konnte. Das ist nicht selbstverständlich ist“, sagt Marius. Er sei froh, all diese Erfahrungen gemacht zu haben und ziehe viel Positives aus dieser Zeit.

„I learned about life with the ball at my feet" – dieses Zitat von der brasilianischen Fußball-Legende Ronaldinho ist auch sein Motto. Es fasse speziell die vergangenen Jahre seines Lebens zusammen und spiegelt auch seine Einstellung zum Fußball wieder. „Mit dem Ball an meinen Füßen habe ich sehr viel über die Wichtigkeit von guter Kommunikation, Verantwortung, Offenheit und Vielfältigkeit, harte Arbeit und Teamwork gelernt“, erzählt er. „Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Werte mich stets erfolgreich auf meinem beruflichen Lebensweg begleiten werden.“

Vom Riederwald nach Chicago

Erfolgreich war der Weg von Marius bisher – und vor allem hat er in seinen 24 Jahren schon viel erlebt und erreicht. Während seinem letzten U19-Jahr bei der Eintracht – zu diesem Zeitpunkt hatte Marius bereits sein Abitur in der Tasche und konzentrierte sich eine Saison lang voll und ganz auf den Fußball – bekam er einen Anruf von seinem ehemaligen Mannschaftskollegen Fabian Lifka, der bereits in Chicago studierte und Fußball spielte. Fabian fragte, ob er Marius Telefonnummer an seinen Trainer weitergeben dürfe, sie bräuchten einen Linksverteidiger, er solle es sich einfach mal anhören. Je länger Marius mit dem Trainer telefonierte und sich mit Amerika auseinandersetzte, umso mehr fühlte es sich „richtig“ an. „Auch hier hatte die Eintracht meine Entscheidung beeinflusst“, lacht Marius. „Wir sind im Frühjahr 2012 mit der U15 nach Dallas geflogen. Ich war zum ersten Mal in Amerika, war fasziniert von dem Land. Es hatte mir gefallen, aber ich wusste natürlich zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ich später mal einige Jahre dort leben würde.“ Durch die damaligen positiven Eindrücke sei seine Entscheidung, etwas komplett Neues machen zu wollen, aus seinem gewohnten Umfeld rauszugehen, bestärkt worden.

Nach verschiedenen bestandenen Tests und einem Stipendium für die „Loyola University Chicago“ in der Tasche brach Marius im August 2016 nach Chicago für das Abenteuer „Fußball-Stipendium“ auf, studierte „International Business & Finance“ und spielte Fußball für die Universitätsmannschaft. „Der Rhythmus – morgens früh aufstehen, trainieren, Uni, dann wieder trainieren, immer unterwegs sein und das machen können, wozu man Lust hat, hat mir extrem gut gefallen. Es sind gute Freundschaften entstanden, wir sind durch die Auswärtsspiele viel gereist, hatten viel Abwechslung. Chicago ist eine coole Stadt“, schwärmt der ehemalige Adlerträger. Zudem habe sich seine Einstellung zum Fußball geändert, er habe sich keinen Druck mehr gemacht, dass er Profi werden müsse, die Ausbildung stand für ihn im Vordergrund. Erfolgreich war er im Fußball dennoch: In seinen zwei letzten Jahren an der Uni war Kapitän, gewann in seiner Uni-Zeit zwei Meisterschaften und erhielt einige sportliche Auszeichnungen. Im Dezember 2019 wurde Marius ins „CoSIDA Academic All-American“ ernannt, das heißt er wurde ins Team der besten elf Fußballer aller Universitäten in Amerika berufen, die neben sportlich sehr guten Leistungen sich auch durch gute Noten im Studium auszeichnen.

Nachdem Marius Anfang März 2020 mit seiner Uni noch acht Tage zu einem „service-learning trip“ in Peru war und u.a. Fußballcamps mit Straßenkindern durchgeführt hat, musste er nach seiner Rückkkehr nach Chicago Hals über Kopf Corona-bedingt alle Zelte abbrechen und zurück nach Deutschland. Sein Studium konnte er dennoch im Mai erfolgreich online beenden. „Mein Stipendium wäre nun nach vier Jahren ausgelaufen, ich wollte aber noch meinen Master machen. Das wäre in Amerika finanziell schwierig geworden, zumal ich schon ein Familienmensch bin und nicht mein Leben auf einem anderen Kontinent aufbauen wollte. Somit war klar, dass ich nach vier Jahren Chicago nach Deutschland zurückkehre“, erzählt der 24-Jährige.

Master, Praktika und Ziele

Im Herbst 2020 hat Marius seinen Master-Studiengang in BWL an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt begonnen und auch schon zwei Praktikas absolviert. Während er zwischen Juni und September 2020 bei der Unternehmensberatung „KMPG Deutschland“ Einblicke im Bereich Projektmanagement der IT-Transformation erhalten hat, absolvierte er bis Ende März 2021 ein sechsmonatiges Praktikum im Markenmanagement der DFL und bleibt der Deutschen Fußball Liga in den nächsten Wochen als Werkstudent erhalten. Eine weitere Werkstudentenstelle hat Marius außerdem bei Accenture im Products Marketing. Seine weiteren Ziele hat er schon klar vor Augen: „Im Frühjahr 2023 mein Studium beenden, bis dahin idealerweise weitere Kenntnisse in Unternehmen als Werkstudent sammeln und beruflich möchte ich gerne alle meine gesammelten Erfahrungen in Zukunft im Sportmarketing oder im Consulting anwenden.“

Entscheidend ist, alles für seinen Traum gegeben zu haben.

Marius Kullmann

„Ich habe gelernt, immer Gas zu geben und niemals aufzustecken. Ich war nie der beste Fußballer, aber ich wusste, dass ich mit meinem Ehrgeiz und meiner Einstellung vieles wettmachen konnte“, nennt Marius einige Werte, die er als Fußballer gelernt habe. „Diese Mentalität hat mir schon bei der Eintracht gehofen, aber auch enorm in Amerika. Wenn man viel leistet, dann wird der Ertrag auch von alleine kommen.“ Deshalb habe er perfekt in das College-System reingepasst. „Entscheidend ist, dass man sich nicht irgendwelche Türen verschließt, weil man lieber den bequemen Weg geht. Deshalb ist es wichtig, dass man ein zweites Standbein hat. Es kann immer etwas dazwischen kommen“, rät Marius und weiß aus eigenen Erfahrungen: „Wenn ich beispielsweise damals nicht das Abitur zu diesem Zeitpunkt schon gehabt hätte, hätte ich niemals in Amerika zu dem Zeitpunkt die Chance bekommen, denn ausgerechnet dann hatte Chicago einen Linksverteidiger gebraucht.“ Am Ende sei das Entscheidende, dass man das Gefühl habe, alles für seinen Traum Fußballprofi getan zu haben. Wenn es dann nicht reicht, dann reicht es eben nicht, aber man hat sich nichts vorzuwerfen.

Das hat Marius definitiv nicht. Er gibt weiterhin Gas. Sportlich wieder mit seinen Freunden für seinen Heimatverein SV Buchonia Flieden in der Hessenliga. Dort, wo alles begann und ohne den er nie bei der Eintracht, geschweige denn später in Amerika gelandet wäre. Im Winter wird er parallel seine Trainer-B-Lizenz machen. Beruflich fährt er ebenfalls zweigleisig und ist neben seinem Studium immer auf der Suche nach neuen Erfahrungen. Der Traum vom Fußballprofi ist zwar geplatzt, aber eine neue, erfolgreiche Tür ist aufgegangen.