05.05.2021
U19

Langer Kampf mit Happy End

Seit Maurice Kramny im Sommer ein Adlerträger wurde, kämpfte er sich nach einem Bandscheibenvorfall zurück auf den Platz. Nach überstandener Odyssee gab er neulich sein Comeback – und Debüt im Eintracht-Dress.

Am 24. April absolvierten die A-Junioren im heimischen Riederwaldstadion ein Testspiel gegen den Stadtrivalen FSV Frankfurt. In der Startelf der Jungadler stand mit der Rückennummer 29 Neuzugang Maurice Kramny. Für ihn selbst ein emotionaler Höhepunkt – und keinesfalls selbstverständlich. Denn der heute 19-Jährige hat eine physisch wie psychisch kräftezehrende Reise hinter sich gebracht, in deren Tiefpunkt sogar ein vorzeitiges Ende der fußballerischen Laufbahn nicht ausgeschlossen war. Ein Drama in mehreren Akten, das nun hoffentlich ein für alle Mal ein Ende gefunden hat.

Vielleicht hätte damals eine Operation besser geholfen und späteres Leid verhindert.

Maurice Kramny

Seine Leidenszeit begann nach eigener Aussage vor rund fünf Jahren. Nachdem der Nachwuchsspieler bereits im Jahr 2012 vom 1. FSV Mainz 05 zum VfB Stuttgart gewechselt war, entwickelte sich Maurice im Nachwuchsleistungszentrum der Schwaben zu einem echten Top-Talent. Mit Vorfreude blickte er auf die Spielzeit 2016/17 und steckte sich mit der U15 des VfB hohe Ziele. Lange sah es auch nach einer erfolgreichen Saison aus, doch was folgte, war ein Ende mit Schrecken: Bruch des rechten Arms, Bruch des linken Arms, zusätzlich die ersten Beschwerden mit dem Rücken – der erste Bandscheibenvorfall. Dieser setzte Maurice fast ein Jahr außer Gefecht. Behandelt wurde er konservativ, sprich ohne operativen Eingriff. „Im Nachhinein betrachtet war das vermutlich ein Fehler. Vielleicht hätte damals eine Operation besser geholfen und späteres Leid verhindert“, mutmaßt Maurice. Doch auch ohne OP ging es aufwärts – zunächst.

Knipser vom Dienst

Gegen Ende der U16-Saison konnte der Mittelstürmer, scheinbar geheilt, wieder voll einsteigen. Dass er in der Verletzungspause seinen Torinstinkt nicht verloren hatte, bewies er auf Anhieb eindrucksvoll. „Ich kam sehr gut zurück und konnte in den letzten Partien in der U16 und in den U17-Vorbereitungsspielen einige Tore erzielen“, erinnert sich Maurice, der sich so pünktlich zum Auftakt der B-Junioren Bundesliga-Spielzeit 2018/19 zur Stammkraft im Team des VfB entwickelte. Das ihm entgegengebrachte Vertrauen zahlte der 1,86 Meter große Angreifer in Form einer furiosen Trefferquote zurück: neun Tore in den ersten fünf Begegnungen sprachen für sich. Es schien wieder bergauf zu gehen, doch die Achterbahnfahrt ging weiter – und setzte wenig später wieder zum Richtungswechsel an.

Die erneute Schockdiagnose

„Schon während der U17-Saison merkte ich ab und an etwas im Rücken. Es war im Grunde eine On/Off-Geschichte, die eben nicht völlig auskuriert war“, hatte Maurice schon eine Vorahnung. Im Sommer 2019, im Anschluss an die U17-Saison, folgte der Übergang in die U19 und ein Vorbereitungsspiel beim FSV Hollenbach am 12. Juli, das auch dank eines Kramny-Treffers souverän 6:0 gewonnen werden konnte. Eine im negativen Sinne besondere Partie, denn es sollte für Maurice die für einen langen Zeitraum letzte Begegnung sein. „Kurz danach bekam ich die Diagnose eines erneuten Bandscheibenvorfalls. Da ist für mich im ersten Moment eine Welt zusammengebrochen“, blickt der Stürmer emotional zurück. „Die Fachärzte vermuteten, dass Leistungssport hinterher wohl nicht mehr möglich sein würde. Das zu verarbeiten war brutal.“ Für die U19 des VfB kam er in der A-Junioren Bundesliga-Saison 2019/20 wenig überraschend keine Sekunde zum Zug. Als sei der Bandscheibenvorfall nicht schon Herausforderung genug, hatte dieser viele weitere Beschwerden, wie Adduktorenprobleme oder Schmerzen im Mittelfuß, zur Folge.

Familie und Tapetenwechsel schenken Mut

Dass der Offensivspieler den Glauben an sich nie verlor, verdankte er zum einen seiner Familie: „Ohne sie hätte ich das nicht geschafft. Sie haben mich immer unterstützt und mich zuversichtlich gestimmt, dass ich all das auch ein zweites Mal durchstehen kann.“ Zum anderen sei auch der gemeinsame Wechsel an den Riederwald mit Vater Jürgen, der die U19 als Cheftrainer übernahm, eine große Hilfe gewesen. „Anfangs wollte ich das gar nicht machen, weil es grundsätzlich eine ungewöhnliche Situation ist, wenn der Vater den Sohn trainiert. Rückblickend war der Tapetenwechsel aber das Beste, was mir hätte passieren können“, schwärmt Maurice und ergänzt: „Von Tag eins an haben sich alle Beteiligten überragend um mich gekümmert und sich sehr viel Zeit für mich genommen. Seit der Operation am 25. September geht es stetig wieder bergauf.“

Ich war der glücklichste Mensch auf dem Platz und habe beide Spiele einfach nur genossen.

Maurice Kramny

Dank monatelanger harter Arbeit in den Reha-Einheiten und großer Unterstützung hat sich das Blatt abermals gewendet und Stimmungs- sowie Leistungskurve zeigen nun wieder steil nach oben. Die vergangenen beiden Wochen dürften Maurice dabei in ganz besonderer Erinnerung bleiben. 652 Tage nach dem Vorbereitungsspiel mit dem VfB gegen den FSV Hollenbach durfte sich der Torjäger endlich wieder ein Trikot überstreifen und auf dem Platz Vollgas geben. Gegen den FSV Frankfurt (2:1) reichte es für 75 Minuten, sechs Tage später ging Maurice gegen den SV Darmstadt 98 (3:0) über die volle Distanz. „Ich kann es nicht beschreiben. Ich war der glücklichste Mensch auf dem Platz und habe beide Spiele einfach nur genossen“, schwärmt der 19-Jährige. „Es sind zwar ‚nur‘ Testspiele, aber es fühlt sich einfach gut an, die Kickschuhe anzuhaben, sich das Trikot mit dem Adler überzustreifen und einfach befreit aufspielen zu können.“

Bei all der Freude wisse er aber auch, dass vor ihm ein nicht einfacher Weg liege. „Ich habe alles in allem rund zwei wichtige Jahre verpasst und habe demnach einiges nachzuholen“, so Maurice, der altersbedingt zum Ende der Saison aus dem Juniorenbereich ausscheidet. „Ich werde dennoch an meinem Ziel festhalten, es in den Profifußball zu schaffen. In den kommenden Jahren möchte ich viel Spielpraxis sammeln und mir dabei das Selbstvertrauen zurückholen“, blickt er motiviert voraus und benennt dabei schmunzelnd eine wichtige Voraussetzung: „Gesund bleiben wäre dabei auch ganz hilfreich.“