26.06.2020
Nachwuchsleistungszentrum

„Ein sensationeller Erfolg“

Mit Chef-Trainer Alexander Schur, Co-Trainer Steffen Kaschel, Kapitän Erik Wille und Siegtorschütze Louis Goncalves lassen vier Protagonisten die Deutsche Meisterschaft Revue passieren.

Zehn Jahre nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft der B-Junioren haben wir vier Protagonisten zum Interview getroffen. Ihre (sportlichen) Wege haben sich zwar über die Jahre hinweg getrennt, aber dieser Titel vereint sie noch heute – und in vielen Dingen sind sie sich bis heute einig. Wir sprachen mit ihnen über…

…den Finaltag am Bornheimer Hang:

Louis Goncalves: Ich weiß noch, dass es extrem heiß war, die Sonne hat gebrannt. Trotzdem haben uns zahlreiche Eintracht-Fans in Empfang genommen und sich auf der Tribüne versammelt.

Alex Schur: Es war ein sehr anstrengendes Spiel. Einerseits aufgrund der Hitze, andererseits auch deshalb, weil viel Druck auf jedem Einzelnen gelastet hat.

Erik Wille: Das war schon der Hammer. Kapitän zu sein war zwar nichts Neues für mich, aber mit den Kindern einzulaufen war schon etwas ganz Besonderes.

…die unterschiedlichen Rahmenbedingungen:

Alex Schur: Wir hatten damals ein Containerdorf am Riederwald, weil sich die Eintracht im Umbruch befand. Wir hatten also keine optimalen Voraussetzungen. Aber genau diese Mentalität, die Frankfurter Straßenmentalität – auf dem Platz unangenehm zu sein, bissig zu sein – das war für uns das Zünglein an der Waage und meiner Meinung nach definitiv ein Vorteil gegenüber Bayer Leverkusen, die bereits ein fertiges NLZ bei sich stehen hatten.

….den Siegtreffer in der Verlängerung:

Louis Goncalves: Alles passierte in der Verlängerung bei einer Bullenhitze. Lukas Ehlert wurde eingewechselt und im Mittelfeld spielten wir einen Doppelpass. Mit meinem eigentlich schwachen linken Fuß schoss ich den Ball in den rechten Winkel. Ich habe gesehen, wie der Ball engeschlagen ist und dann ging’s direkt zum Feiern vor die Haupttribüne. Zu den Eintracht-Fans habe ich es nicht mehr geschafft. Ich hoffe, sie haben es mir nicht zu böse genommen.

Steffen Kaschel: Beinahe hätte ich mir bei diesem Jubel einen Kreuzbandriss zugezogen. Ich konnte es gar nicht glauben, einfach unbeschreiblich. Durchnässt waren wir ohnehin schon, nach dem Treffer kamen dann noch die letzten Schweißtropfen aus dem Körper.

Alex Schur: Natürlich haben wir Trainer uns zunächst gefreut, weil man denkt ‚das war die Erlösung‘. Aber danach kam mir direkt der Gedanke ‚Wie halten wir das Ergebnis jetzt?‘ Schließlich waren noch fünf Minuten zu spielen. Deshalb kam im Anschluss an den Jubel direkt die Anspannung zurück.

…die Momente nach dem Schlusspfiff und bei der Siegerehrung:

Louis Goncalves: Dass ich mich sich mit diesem Treffer in die Geschichtsbücher der Eintracht schoss, war mir in dem Moment nicht klar. Wir mussten das Ergebnis ohnehin erst noch über die Zeit bringen, weil Leverkusen sehr, sehr gut war. Aber selbst nach dem Schlusspfiff, als die Jungs dann vor Freude auf mich drauf gesprungen sind, habe ich das alles immer noch nicht begreifen können.

Erik Wille: Die Schale hochzuheben war schon cool und etwas ganz Besonderes.

…das spezielle Verhältnis zwischen Mannschaft und Trainerteam:

Steffen Kaschel: Ich denke, dass man einen gewissen Ehrgeiz an den Tag legen sollte. Loyalität zum Cheftrainer und zu den Jungs ist sehr wichtig. Die Jungs haben mich immer wertgeschätzt und dann gebe ich das natürlich sehr gerne zurück. Für sie war ich wie ein großer Bruder. Das hat uns über die Jahre hinweg zusammengeschweißt, ich hatte die Mannschaft bereits seit der C-Jugend. Die Tür zu unserem Büro stand ihnen immer offen. Das ist sehr viel wert und das wussten sie zu schätzen.

Louis Goncalves: Mit Steffen hatten die meisten Spieler ein extrem gutes Verhältnis. Er war der beste Co-Trainer, den wir uns für diese Situation hätten vorstellen können. Er hatte immer ein offenes Ohr und stand einem immer zur Seite. Es hat einfach harmonisch gepasst.

Alex Schur: Ein großer Vorteil war, dass Steffen die Mannschaft schon kannte, er hat mich ein Stück weit auf diese schwierigen Charaktere vorbereitet. Ich war damals ein junger Trainer und sehr leidenschaftlich. Das Talent der Mannschaft war unbestritten, aber anfangs hatte jeder Spieler nur Ziele für sich. Deshalb war die Mannschaft unglaublich schwierig, aber in dieser Konstellation ebenso interessant.

Louis Goncalves: Alles in allem war das Verhältnis zwischen mir und Alexander Schur eine Art „Hassliebe“. Ich war ein schwieriger Spieler für jeden Trainer. Wir hatten zwar unsere Differenzen, dennoch war es immer wichtig für mich, was der Trainer von mir hält. Und ich bin ich mir sicher, dass Alexander Schur wusste, dass er sich auf dem Feld absolut auf mich verlassen kann und ich immer alles dafür getan habe, zu gewinnen. Das ist alles gut ausgegangen, wir haben heute ein sehr gutes Verhältnis.

…eine waghalsige Anekdote:

Alex Schur: Wir hatten zwar immer eine offene Tür. Trotzdem mussten wir den Jungs auch Grenzen aufzeigen. Ihre Art und Weise und auch ihre Worte waren oft sehr direkt, teilweise auch gewollt provokant, wie eine Anekdote über Louis Goncalves verdeutlicht. Eines Tages kam Louis ins Büro und sagte: „Trainer ich muss Ihnen sagen, Ihr Training ist langweilig.“ Es war für mich als jungen Trainer anfangs erst einmal ein Schock, nach einer kurzen Zeit habe ich ihm gesagt: „Louis, deine Ehrlichkeit in allen Ehren, aber die kann manchmal auch kontraproduktiv sein. Die meisten Trainer würden dich wahrscheinlich aus der Mannschaft schmeißen.“ Wir haben das Gegenteil gemacht: Als Sprachrohr der Mannschaft durfte er seinen Input für die Trainingsgestaltung hinzugeben.

Louis Goncalves: Warum ich das gemacht habe, weiß ich gar nicht mehr. Es war einfach meine Art. Im Nachhinein betrachtet ist das natürlich eine respektlose Aktion, das würde ich heute anders machen.

…das unterstützende Eintracht-Umfeld:

Alex Schur: Wichtig für uns war auch das Umfeld, wie die NLZ-Leitung um Armin Kraaz und Holger Müller oder auch Stefan Hollander als Organisator. Wir haben gespürt: Der ganze Verein ist stolz auf diese Mannschaft und geht diesen erfolgreichen Weg mit. Es ist ein wenig vergleichbar mit dem Pokalsieg der Profis 2018. Wenn die Mannschaft Unterstützung braucht, kommt diese wirklich aus allen möglichen Bereichen. Diese ganzen Faktoren haben miteinander so gewirkt, dass wir alle an einem Strang gezogen haben. Und genau das braucht man, wenn man am Ende etwas Außergewöhnliches erreichen möchte.

Steffen Kaschel: Unsere harte Arbeit wurde belohnt. Jeder einzelne Spieler hat seinen Teil dazu beigetragen. Das schönste Erlebnis der ganzen Saison war für mich, dass stets der Teamgedanke im Vordergrund stand. Wir – Trainerteam, Mannschaft und das gesamte Umfeld drum herum – waren eine Einheit, und das hat sich ausgezahlt. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, ein unvergessliches Erlebnis. Und: Die Jungs sind alle auf dem Boden geblieben, das freut mich ebenfalls sehr.

…die weiteren Werdegänge:

Erik Wille: Erst einmal ging es bei der Eintracht noch zwei Jahre weiter. Wir waren alle auf Wolke sieben und dachten, wir gewinnen das Ding auch in der A-Jugend und werden anschließend alle Profis. Es ist natürlich anders gekommen. Rückblickend sicherlich schade, aber wir waren alle jung und naiv. Meine nächste Station war dann der MSV Duisburg. Dort musste ich vor mittlerweile fünf Jahren aufgrund einer Hüftverletzung aufhören. Im Anschluss habe ich recht schnell meinen Bachelor in BWL gemacht, den Master dann wieder hier in Frankfurt in Banking & Finance. Seit ein paar Jahren bin ich nun in der Finanzbranche als Analyst tätig.

Louis Goncalves: Ich habe mir am Anfang des zweiten Jahres in der U19 das Kreuzband gerissen. Da ich – auch aufgrund meines schwierigen Charakters – keinen Profivertrag bei der Eintracht bekam, bin ich zu Wehen Wiesbaden, wo ich mich einer weiteren Kreuzband-OP unterziehen musste. Nach zwei Jahren in Wiesbaden bin ich zurück in meine Heimat, zum SC Teutonia Watzenborn-Steinberg, dem heutigen FC Gießen. Dort haben wir es bis in die Regionalliga Südwest geschafft. Allerdings wollte ich dann meine berufliche Laufbahn als Physiotherapeut forcieren und weniger Trainingsaufwand haben, jetzt spiele ich beim FSV Fernwald in der Hessenliga. Also: Fußballspielen geht noch.

…Erinnerungen, die bleiben:

Alex Schur: Das Talent, das diese Mannschaft hatte, war enorm. Wir wussten, wenn wir dieses Talent in ein System und auf den Platz bekommen, hat keine andere Mannschaft in Deutschland eine Chance – und so war es am Ende auch und das haben die Jungs letztlich auch verstanden.

Louis Goncalves: Zuhause habe ich noch viele Zeitungsartikel an der Wand hängen, in einer eingerahmten Collage. Es ist schön, ab und zu daran vorbeizulaufen und zu sich selbst zu sagen: Ja, das waren wir.