18.11.2020
Nachwuchsleistungszentrum

Das Leben im Internat

14 Internatler gibt es derzeit im Leistungszentrum von Eintracht Frankfurt. Was bedeutet das für die Jungs und wie werden sie betreut? Die Pädagogen gewähren im Interview Einblick.

Bereits seit 2012 trägt der studierte Diplom-Pädagoge Anton Schumacher als pädagogischer Leiter die Verantwortung für das Internat des Leistungszentrums – bei der Eintracht aber ist er sogar schon drei Jahre länger. Von 2009 an bis ins Jahr 2017 trainierte Anton unseren Nachwuchs, er kennt also auch die sportliche Seite und entsprechend die Bedürfnisse ganz genau. Organisatorische und administrative Aufgaben bestimmen seinen Alltag. Ihm zur Seite stehen Chrissoula Disch, liebevoll die „Mama der Kompanie“ genannt und Rafael Francisco, verantwortlich für die Fahrdienste. Zum 1. Juli 2020 stieß mit Giovanni Brandi ein weiterer ehemaliger Trainer zum Team. Giova, wie er gerufen wird, begann 2011 als Co-Trainer der U13 und pendelte anschließend zwischen der U11 und der U12. Der gebürtige Bad Homburger, Eintracht-Fan von Kindesbeinen an, studierte in Frankfurt Sport und Italienisch auf Lehramt und kümmert sich heute hauptberuflich um den Alltag der Internatler. Wir haben uns mit Anton und Giova darüber unterhalten, was es heißt, das Leben im Internat zu betreuen.

Giova, wie bist du eigentlich dazu gekommen, von der Trainerbank ins Internat zu wechseln?

Giova: Mir macht die pädagogische Arbeit seit jeher viel Spaß. Auch als Trainer übernimmt man selbstverständlich erzieherische Aufgaben und es war schon immer mein Traum, bei der Eintracht in Vollzeit zu arbeiten. Als ich mein Studium beendet hatte und die Stelle im Internat ausgeschrieben wurde, bot sich für mich die perfekte Gelegenheit. Seit dem 1. Juli bin ich jetzt dabei.

Wie sehen deine Aufgaben im Internat konkret aus?

Giova: Ich versuche, so nahe wie möglich am Puls der Spieler zu sein. Erziehung ist eigentlich das Hauptthema. Daneben liegt der Fokus auf Schule, auch in Zusammenarbeit mit Karl Rotter, der im Leistungszentrum für die Lernhilfe verantwortlich ist. Dazu kümmere ich mich um die Organisation des Alltages. Egal, ob es um die Bearbeitung der Post geht, ob Wäsche gewaschen werden muss oder ein Bankbesuch ansteht. Da verstehe ich mich in erster Linie als Helfer. Das Schwierigste war für mich, den Kosmos Schule kennenzulernen. Als Trainer kam ich früher ja nicht ganz so dicht an den Alltag der Spieler ran.

Anton, du bist ja schon lange verantwortlich für das Internat – aber eine Situation wie in diesem Jahr, war auch für dich neu. Was hat der Shutdown für euch bedeutet?

Anton: Anfangs dachten wir noch, wir machen relativ normal weiter. Aber als klar wurde, dass die Schulen schließen müssen, der Spielplan ausgesetzt wird und kein Training mehr möglich ist, mussten wir reagieren. Wir waren froh, dass wir die internationalen Spieler alle noch nach Hause schicken konnten, dass wir für sie noch Flüge bekamen. Aber wir hielten natürlich Kontakt zu den Jungs. Für andere standen noch die Abschlussprüfungen an. Da die sportlichen Verpflichtungen wegfielen, betreuten wir die Spieler entsprechend vor Ort. Eine wesentliche Bedeutung fiel hierbei ebenso dem Online-Unterricht zu. Nach Ostern waren auch die Schulen gut organisiert, die Unterrichtstage fanden jetzt an zusammenhängenden Tagen statt. Und die Jungs blieben häufiger Zuhause. Aber es hat sich nie ergeben, dass gar keiner im Internat anzutreffen war. Zwischenzeitlich haben wir renoviert, einen neuen Fußboden verlegt. Für uns blieb ein bisschen mehr Zeit als sonst, sich um Dinge zu kümmern, die sonst eher zu kurz kommen.

Wie sind die Jungs mit Belastungen umgegangen?

Anton: Es war natürlich ein großes Thema für die Spieler – und es gab viele Fragen. Fahren wir heim, bleiben wir hier? Wie geht‘s in der Schule weiter, wie sieht das Training aus? Sie entwickelten eine große Sensibilität für die Situation, die sich vor allem auch für diejenigen als problematisch erwies, welche uns im Sommer verlassen sollten. Auch da sich die Suche nach einem neuen Verein weitaus komplexer gestaltete als sonst.

Giova, du bist im Juli quasi in die Situation hineingeworfen worden, deine Startbedingungen waren alles andere als leicht, oder?

Giova: Das stimmt, aber ich hatte keine allzu großen Probleme. Als ich anfing, wurde die Kurzarbeit schon weniger. Und das Leben hier ist im Grunde von Tag zu Tag normaler geworden, vor allem seit der Trainingsbetrieb wieder läuft. Wir wissen natürlich nicht, wie sich alles entwickelt, welche Themen aufploppen. Aber ich mache mich nicht verrückt und versuche für die Jungs da zu sein.

Im Sommer stehen jeweils die größten Veränderungen im Internat an: Ältere Spieler gehen, andere stoßen neu hinzu. Wie sah dieses Jahr der Saisonstart aus?

Giova:Wir haben bislang für diese Saison fünf neue Spieler im Internat. Diese mussten natürlich alle in Frankfurt gemeldet werden. Dann zeigten wir ihnen die Stadt, da kamen auch die mit, die schon länger im Internat wohnen. Wir waren Standup-Paddeln auf dem Main, machten eine Bootstour, tuckerten mit dem Hop-On/Hop-Off-Bus durch Frankfurt oder saßen in Sachsenhausen in der Apfelweinwirtschaft Wagner. Die Jungs sollten auch mal einen Handkäs essen oder Grüne Soße probieren. Das war ganz witzig, weil wir mit Dieter Burkert dort zufällig noch unser geschäftsführendes Präsidiumsmitglied trafen. Auch Andy Möller kam vorbei.

Anton: Das hat den Jungs richtig gut getan, sie tauten auf, lernten sich kennen und fanden schnell zusammen. Und Giova hat gleich einen Draht zu ihnen bekommen.

Die Jungs sollen Angeln lernen.

Giovanni Brandi

In den vergangenen Jahren stand für euch in der Betreuung stets die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund. Ist das heute noch immer so?

Anton: In der Tat. Das steht über allem. Wir versuchen, die Jungs für alle Bereiche auszubilden. Auch wenn sie den Durchbruch als Fußballprofi schaffen, schadet es nicht, wenn sie sich sie ordentlich benehmen oder selbständig eine Spül- oder Waschmaschine bedienen können. Dazu gehört auch, sich und anderen zu vertrauen. Wir begleiten die Spieler auf ihren Wegen, zeigen ihnen, wie man ein Bankkonto eröffnet, wie man zum Flughafen kommt oder dass in eine Waschmaschine nicht nur zwei Socken reinpassen. Aber sie müssen es dann selbst hinbekommen. Und es macht ja auch was mit den Sportlern, wenn sie ihren Horizont erweitern.

Giova: Wie heißt es so schön? Wenn du Hunger hast und ich dir einen Fisch anbiete, dann bist du zwar satt – hast aber morgen wieder Hunger. Wenn ich dir jedoch das Angeln beibringe, dann kannst du dich selbst ernähren. Das ist unser Ziel. Die Jungs sollen Angeln lernen. Im übertragenen Sinne natürlich. Wenn sie eine Haltung zum Leben entwickeln, dann klappt‘s auch mit dem Fußball.